U n g e a h n t e "Möglichkeiten"!
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Hartz IV
Ausgesperrt in der eigenen Wohnung
Betreten verboten: Hartz-IV-Empfänger, deren Wohnung zu groß ist, müssen in Löbau nicht ausziehen. Aber ein Zimmer stilllegen. Für viele ist es das kleinere Übel.
Es klingt grotesk. Im sächsischen Löbau leben bereits 95 Mietparteien in Wohnungen, in denen sie ein oder zwei Räume nicht mehr betreten dürfen. Die sind für die Mieter verbotene Zonen. Wo vor Kurzem noch Bett, Schrank und Tisch standen, Musik dröhnte, gelacht wurde, ist es jetzt still, kalt und gähnend leer. Fehlt nur noch ein Siegel an der Tür wie im Kriminalfilm, wenn ein Mord-Tatort gesichert wird. Oder ein Schild: Stillgelegt durch Hartz IV.- SUPERlink: Sozial-Report - Guten Tag, Hartz-IV-Kontrolle!
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Umziehen aber wollte Betty Kahlert nicht. Die arbeitslose Lehrerin aus Löbau wohnt nach Scheidung und Auszug ihres älteren Sohnes ftet:Christian mit Sohn Gerd in einer rund 80 Quadratmeter großen Vier-Raum-Wohnung. Sie lebt von den Hartz-IV-Zuwendungen. Da ist die Wohnung einfach zu groß. Betty Kahlert: „Ich fühle mich wohl in meiner Wohnung. Umziehen wäre keine Alternative.“ Deshalb akzeptierte sie den Vorschlag ihres Vermieters.
Die Lösung
Wobau-Chef Matthias Urbansky: „Wir haben kleinere Wohnungen für Hartz-IV-Empfänger nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung. So dachte sich unser Haus die künstliche Verkleinerung der Wohnungen aus.“ Und die geht so. Haben die Mieter durch Langzeitarbeitslosigkeit nur noch Anrecht auf einen geringeren Wohnraum als bisher, wird die entsprechende Quadratmeterzahl durch Abschließen eines oder mehrerer Räume erreicht. Die Betroffenen erhalten einen Mietvertrag für die nun kleinere Wohnung. Betty Kahlert: „Die Lösung hat für alle Beteiligten Vorteile. Ich kann in der Wohnung bleiben. Der Fachdienst muss weniger Miete zahlen und die Wohnungsgesellschaft behält ihre Mieter.“ Hartz-IV-Empfänger Eduard Weidner stimmt zu: „Nachdem mein Vater gestorben war, durften wir sein Zimmer nicht mehr nutzen, leben jetzt zu dritt in drei Zimmern. Das ist in Ordnung. Hier im Viertel haben wir Bekannte und Freunde. Wohin sollten wir auch. In eine andere Stadt?“
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Der Umzug in eine kleinere Wohnung wäre für Familie Weidner tatsächlich schier unmöglich. Wohnungsverwalterin Ulrike Wendler: „Das Sozialamt oder die zuständigen Behörden lehnen es meist ab, die Umzugskosten zu übernehmen. Doch diese Kosten können die meisten Mieter einfach nicht stemmen.“ Wenn es in Löbau keine kleinere Wohnung für Familie Weidner gibt, müsste sie zudem in eine andere Kommune ziehen. Und die müsste der Kostenübernahme für die Miete zustimmen. Ulrike Wendler: „Doch welche Gemeinde will und kann schon für zusätzliche Hartz-IV-Empfänger aufkommen?“ Also kontrolliert sie, ob ihre Mieter den mit einem Tabu belegten Wohnraum tatsächlich nicht nutzen. Die Verwalterin: „Wir sind nicht päpstlicher als der Papst. Wenn dort das Bügelbrett abgestellt wird, reißen wir keinem den Kopf ab.“
Problem gelöst?
Die künstliche Wohnungsverkleinerung scheint also die ideale Lösung zu sein. Die Betroffenen behalten ihr Zuhause. Finden sie einen Job, können sie jederzeit ihre Mietverträge ändern und die »amputierten« Zimmer wieder nutzen. Die Arbeitsagentur ist zufrieden, weil sie nicht mehr Miete als im Gesetz vorgesehen überweisen muss. Die Vermieter freuen sich, nicht noch mehr Leerstand verwalten zu müssen. Auch in Halle, Dessau, Wittenberg und Magdeburg wird das praktiziert, wenn auch nur in Einzelfällen.
Die Kritik
„Wohnraum ist ein besonderes Gut, das einigen grundgesetzlichen Regelungen unterliegt, zum Beispiel dem Schutz der Privatsphäre“, kritisiert Udo Gebhardt, Landeschef des DGB in Sachsen-Anhalt, die Maßnahme. Der Leipziger Rechtsanwalt Dr. Mario Müller sieht dagegen ein ganz anderes Problem: „Die Nebenkosten des künstlich vernichteten, aber real existierenden Wohnraumes könnten auf die Mieter umgeschlagen werden, die ihre Miete selbst bezahlen.“ Der Löbauer Wobau-Chef Urbansky: „Wir müssen die Kosten übernehmen. Das steht so im Gesetz.“ Die Lösung erinnert irgendwie an Butterberge und Lebensmittelvernichtung. Hinter vorgehaltener Hand sind sich Mieter und Wohnungsverwalter einig: Der eigentliche Irrsinn heißt Hartz IV.
Jörg AbromeitLetztes Update: 01.03.2007 17:45
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wega - 2. Mär, 21:08